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Anpassungsprüfung und Rententrends: Die Anpassung hat Methode (10.12.2023)

Der Zins ist schnell gestiegen in diesen Monaten, die Inflation auch – und beides hat bekanntlich Wirkung auf die bAV. Arbeitgeber spüren das in ihren Bilanzen, dürfen bei der Anpassungsprüfung aber auch an sich selbst denken – wenn sie keinen Fehler machen. Jan Andersen (s. Foto) und Christian Rasch über Handlungsoptionen bei der Anpassung von Betriebsrenten in Zeiten stark gestiegener Inflation.

Die hohe Inflation der letzten Jahre führt für Unternehmen mit Betriebsrenten, die nach der Teuerung angepasst werden, zu erheblichen Belastungen der Liquidität und – aufgrund gestiegener Rententrends – auch der Bilanzen nach HGB und IFRS/US-GAAP.

Unter bestimmten Voraussetzungen dürfen Anpassungen ganz oder teilweise unterbleiben. Wenn die Anforderungen gemäß § 16 Abs. 4 BetrAVG erfüllt sind, muss eine (zu Recht) unterbliebene Anpassung auch später nicht nachgeholt werden. Damit einhergehend können auch positive bilanzielle Effekte erzielt werden, indem der für die Dynamisierung von Rentenverpflichtungen angesetzte Rententrend abgesenkt wird. Arbeitgeber sollten die Handlungsoptionen, die das BetrAVG einräumt, jetzt prüfen.

Deutlich zweistellige Erhöhungsprozentsätze

Regelmäßig steht für viele Unternehmen die gesetzlich verpflichtende Überprüfung und ggf. Anpassung ihrer laufenden Betriebsrentenzahlungen an, die derzeit bei Anpassung an die Inflation der letzten drei Jahre auf deutlich zweistellige Erhöhungsprozentsätze führt.

Geht man von einer Inflation von 5,6% für 2023 und 2,7% für 2024 gem. dem ECB Survey of Professional Forecasters Q4 2023 aus, so ergeben sich folgende 3-jährige Anpassungssätze (zum 1. Oktober 2023 ist der Ist-Wert auf Basis des bereits veröffentlichten VPI im September 2023 angegeben):

Anpassungsstichtag Anpassungssatz für die letzten 3 Jahre:

1.10.2023: 18,2%

1.1.2024: 19,8%

1.1.2025: 17,3%

Die Prüfungsverpflichtung gilt auch als erfüllt, wenn die Anpassung nicht geringer ist als der Anstieg der Nettolöhne vergleichbarer Arbeitnehmergruppen des Unternehmens im Prüfungszeitraum. Diese in der Praxis meist aufwändigere Feststellung der Nettolohnentwicklung (vergleichbare Arbeitnehmergruppen müssen festgelegt und deren Nettolöhne im entsprechenden Zeitraum betrachtet werden) kann derzeit zu einem niedrigeren Anpassungsbedarf führen.

Vom ersten Tag an (Christian Rasch, Aon.)

Dabei ist jedoch zu beachten, dass als Prüfungszeitraum stets der gesamte Zeitraum vom individuellen Rentenbeginn bis zum aktuellen Prüfungs-/Anpassungsstichtag zu betrachten ist. Ziel der Prüfung bzw. Anpassung ist ein Ausgleich des Kaufkraftverlustes seit Beginn der ersten Rentenzahlung, d.h. es wird der Kaufkraftverlust vom individuellen Rentenbeginn bis zum aktuellen Anpassungsstichtag – entweder nach der Inflationsentwicklung oder nach der Entwicklung der Nettolöhne vergleichbarer Arbeitnehmergruppen des Unternehmens – ermittelt und die Erstrente entsprechend erhöht. Die Differenz zur zuletzt gezahlten Rente ist dann der entsprechende Anpassungsbetrag (wobei zu Recht unterbliebene Anpassungen herauszurechnen sind, s.u.).

In der Praxis hat sich gezeigt, dass für länger zurückliegende Rentenbeginne trotz der zuletzt starken Inflation die Entwicklung des VPI (aus Sicht der Unternehmen) meist günstiger war als die Entwicklung der Nettolöhne im selben Zeitraum. Für Rentenbeginne in den letzten 3-10 Jahren kann eine Begrenzung der Rentenanpassung auf die Nettolohnentwicklung aber eine Ersparnis für das Unternehmen bedeuten.

Wer nicht kann, der muss auch nicht

Bei seiner nach billigem Ermessen vorzunehmenden Anpassungsprüfung und -entscheidung darf der Arbeitgeber aber auch seine wirtschaftliche Lage berücksichtigen und dem ermittelten Anpassungsbedarf gegenüberstellen.

Er kann die Betriebsrentenanpassung ganz oder teilweise ablehnen, soweit seine wirtschaftliche Lage einer solchen entgegensteht. Nach der BAG-Rechtsprechung ist die Ablehnung einer Rentenanpassung aufgrund der wirtschaftlichen Lage dann gerechtfertigt, wenn das Unternehmen durch die Rentenerhöhung übermäßig belastet und seine Wettbewerbsfähigkeit gefährdet würde.

Die wirtschaftliche Lage ist eine zukunftsbezogene Größe. Sie umschreibt die künftige Belastbarkeit des Arbeitgebers und ist anhand einer zum Anpassungsstichtag zu erstellenden langfristigen Prognose zu beurteilen. Beurteilungsgrundlage für die zu erstellende Prognose ist die wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens vor dem Anpassungsstichtag, soweit sich daraus Schlüsse für die weitere Entwicklung ergeben.

Um eine zuverlässige Prognose zu ermöglichen, muss die bisherige Entwicklung des Unternehmens über einen repräsentativen Zeitraum von in der Regel mindestens drei Jahre ausgewertet werden.

Die wirtschaftliche Lage führt nur zu einer Anpassung, soweit das Unternehmen die Anpassungsbelastung aus den künftigen Unternehmenserträgen und den verfügbaren Wertzuwächsen tragen kann. Dem Unternehmen muss also, um seine Wettbewerbsfähigkeit nicht zu beeinträchtigen, eine angemessene Eigenkapitalverzinsung und Eigenkapitalausstattung zugestanden werden. Dabei ist von den nach handelsrechtlichen Rechnungslegungsvorschriften erstellten Abschlüssen auszugehen.

Die angemessene Eigenkapitalverzinsung besteht grundsätzlich aus einem Basiszins, der dem Niveau der Umlaufrenditen öffentlicher Anleihen entspricht, plus einem Zuschlag von 2 Prozentpunkten für das Risiko, dem das in dem Unternehmen investierte Kapital ausgesetzt ist (ständige Rechtsprechung, vgl. zuletzt BAG vom 15.11.2022 – 3 AZR 505/21).

Umlaufrenditen öffentlicher Anleihen aktuell bei ca. 2,9 Prozent

Im Zuge des Zinsanstiegs seit Ende 2021 haben sich auch die Umlaufrenditen öffentlicher Anleihen deutlich aus dem negativen Zinsbereich nach oben bewegt, sodass sich mit den derzeitigen Umlaufrenditen von ca. 2,9% (26.Oktober 2023, Quelle: Deutsche Bundesbank) und dem Risikozuschlag eine angemessene Eigenkapitalverzinsung von ca. 4,9% ergibt.

Aufgrund des gestiegenen Zinsniveaus und dem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld der letzten Jahre gehen wir davon aus, dass einige Unternehmen von der Möglichkeit Gebrauch machen könnten, eine Anpassung (zu Recht) zu unterlassen. Insbesondere könnten damit die hohen zweistelligen Anpassungen (s.o.) der kommenden Monate dauerhaft vermieden werden.

Zu Recht unterblieben – und für immer unbeachtet

Für Prüfungszeiträume ab dem 1. Januar 1999 ist ein Arbeitgeber gemäß § 16 Abs. 4 i.V.m. § 30c Abs. 2 BetrAVG nicht mehr verpflichtet, zu Recht unterbliebene Anpassungen nachzuholen.

Eine Anpassung ist zu Recht unterblieben, soweit ihr die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers tatsächlich entgegenstand. Nach der gesetzlichen Fiktion des § 16 Abs. 4 Satz 2 BetrAVG liegt eine zu Recht unterbliebene Anpassung aber auch dann vor, wenn der Arbeitgeber dem Rentner die wirtschaftliche Lage schriftlich dargelegt hat, der Rentner nicht innerhalb von drei Kalendermonaten widersprochen hat und er auf die Rechtsfolgen eines nicht fristgerechten Widerspruchs hingewiesen wurde.

Die Darstellung der wirtschaftlichen Lage muss dabei so detailliert sein, dass der Versorgungsempfänger durch diese allein in der Lage ist, die Plausibilität der Anpassungsentscheidung zu überprüfen.

Ist eine Anpassung zu Recht unterblieben, darf der im damaligen Drei-Jahres-Zeitraum festgestellte Anstieg des Verbraucherpreisindexes bzw. der Reallöhne bei künftigen Anpassungsentscheidungen dauerhaft unbeachtet bleiben. Auch eine mit Nachzahlungsansprüchen verbundene nachträgliche Anpassung ist insoweit ausgeschlossen.

Soweit daher eine Anpassung für einen Drei-Jahres-Zeitraum ganz oder teilweise endgültig unterbleiben soll, ist es notwendig, zu Nachweiszwecken den nicht abgebildeten Anstieg der Teuerung bzw. der Nettolöhne zu ermitteln und zusammen mit den der Anpassungsentscheidung zugrunde gelegten wirtschaftlichen Daten vorzuhalten.

Zu Unrecht unterblieben – und unverjährt

Ist eine Anpassung zu Unrecht nicht bzw. nicht in voller Höhe erfolgt, also hat der anpassungspflichtige Arbeitgeber überhaupt keine Anpassung vorgenommen, obwohl eine solche vorzunehmen gewesen wäre bzw. hat sich ausdrücklich gegen eine volle oder teilweise Anpassung entschieden, obwohl eine vorzunehmen gewesen wäre, ist er zu einer nachträglichen Anpassung verpflichtet, sofern der Rentner dies rechtzeitig rügt.

Hierzu hat der Versorgungsempfänger jedoch im Falle einer unterlassenen Anpassung ohne ausdrückliche Entscheidung des Arbeitgebers bis zu sechs Jahre Zeit. Bei einer zu Unrecht unterlassenen Anpassung wird sich der Arbeitgeber dann u.U. auch nicht auf die Einrede der Verjährung berufen können.

Daher sollten – auch in Zeiten offenkundig schwieriger wirtschaftliche Lage – die im Rahmen von § 16 Abs. 1 BetrAVG zu treffende Ermessensentscheidung gut dokumentiert sein sowie die Vorgaben der einschlägigen Rechtsprechung an die Kommunikation der Nichtanpassung eingehalten werden, um auch etwaige spätere Ansprüche auf nachholende oder nachträgliche Anpassung erfolgreich und dauerhaft ausschließen zu können.

Bilanzielle Behandlung

Handelsrechtlich sowie nach internationalen Rechnungslegungsgrundsätzen werden künftige Rentenanpassungen in Form eines Rententrends in die Bewertung einbezogen.

Der Rententrend bildet die Einschätzung über die künftige Entwicklung laufender Renten ab dem Bewertungsstichtag im Sinne eines „Best Estimate“ ab.

Aufgrund der hohen Inflation wurde zum 31. Dezember 2022 bei vielen Unternehmen auch der Effekt des sog. Anpassungsstaus in der Bewertung berücksichtigt, also die Auswirkung der bis zum Stichtag bereits eingetretenen Inflationsentwicklung auf Anpassungsprüfungen in den Monaten nach dem Bewertungsstichtag.

Bei der Festlegung der Bewertungsannahmen sind unternehmensindividuelle Besonderheiten einzubeziehen. So sollten Entscheidungen des Unternehmens über ein Aussetzen oder eine Reduktion künftiger Anpassungen i.d.R. bei der Festlegung einbezogen werden, was wiederum auf einen geringeren Verpflichtungsumfang bzw. zu einer Reduktion der Zuführungen zu den Pensionsrückstellungen führt.

Alternativen zur Anpassungsprüfung

Die oben beschriebene Prüfungs- und ggf. Anpassungspflicht entfällt gemäß § 16 Abs. 3 Nr. 1 BetrAVG, wenn sich der Arbeitgeber verpflichtet hat, die laufenden Leistungen jährlich mindestens um 1% anzupassen. Dies ist nach § 30c Abs. 1 BetrAVG allerdings nur zulässig, sofern es sich um laufende Leistungen handelt, die auf Versorgungszusagen beruhen, die nach dem 31.12.1998 erteilt wurden.

Für vor 1999 erteilte Zusagen ist, selbst wenn in der Zusage eine jährliche Mindestanpassung in Höhe von 1% vorgesehen ist, die dreijährige Anpassungsprüfung und ggf. Anpassung gemäß VPI- bzw. Nettolohnentwicklung zusätzlich durchzuführen.

Die Prüfungs- und ggf. Anpassungspflicht entfällt ebenfalls, wenn die bAV über die Durchführungswege Direktversicherung oder Pensionskasse durchgeführt wird und ab Rentenbeginn sämtliche auf den Rentnerbestand entfallende Überschussanteile zur Erhöhung der laufenden Leistungen verwendet werden (vgl. § 16 Abs. 3 Nr. 2 BetrAVG) oder eine Beitragszusage mit Mindestleistung erteilt wurde (vgl. § 16 Abs. 3 Nr. 3 BetrAVG).

www.aon.com/germany/default.jsp

Kategorie: Human Resources